Global Goals Forum: Nachhaltigkeit in Zeiten von Krisen und Konflikten
Ob Brexit, Handelskonflikte, Populismus und Wirtschaftsabschwung – Unversöhnlichkeit und Unvorhersehbarkeit sind Signaturen unserer Zeit. Zugleich brauchen wir dringender denn je nachhaltige Lösungen: sei es in Klimafragen, bei Verteilungsgerechtigkeit oder dem Umbau der Wirtschaft. Unter dem Titel „Agenda 2030: Läuft uns die Zeit davon?“ diskutierten darüber Experten vor 370 Gästen beim Global Goals Forum am 10. Oktober in Berlin.
Etwas mehr als zehn Jahre bleiben noch zur Umsetzung der Agenda 2030 und der globalen Nachhaltigkeitsziele, den SDGs. Aus diesem Anlass hatten die macondo foundation und das Deutsche Global Compact Netzwerk (DGCN) nach Berlin zum Global Goals Forum eingeladen. Das Forum zog eine Bilanz über die Fortschritte und den Handlungsbedarf in der Umsetzung der SDGs vier Jahre nach ihrer Verabschiedung durch die Weltgemeinschaft.
Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, betonte hierbei die Dringlichkeit des Klimaschutzes: „Transformation ohne Ehrgeiz ist nur eine hohle Geste. Wer die schwarze Null langfristig halten will, muss die grüne Null heute wollen und einkalkulieren. Wir brauchen nicht mehr Ausgaben für Nachhaltigkeit, keine höhere Staatsquote – aber einen konsequent an den SDGs ausgerichteten Haushalt.“ Zugleich kritisierte sie die Ergebnisse des UN Klimagipfels im September in New York: „Einen gemeinsamen Fahrplan zur Erreichung des Zieles, die globale Klimaerwärmung auf 1,5°C zu begrenzen gibt es nicht.“
Elmer Lenzen, Geschäftsführer der macondo foundation, hob die Rolle des Multilateralismus hervor: „Multilateralismus heißt: Das Powerplay der großen Mächte wird ersetzt durch Regeln, denen sich alle unterwerfen. Jeder gibt und jeder bekommt.“ Zugleich warnte Lenzen davor, gesellschaftlich notwendige Veränderungen als reines Weiter-So zu denken: „Nostalgie ist auf diesem Weg ein schlechter Ratgeber. Alternde Gesellschaften mögen sich die Zukunft als Vergangenheit 2.0 wünschen.“
Global Goals als positive Zukunftsutopie?
Der bekannte Soziologe und Buchautor Harald Welzer verband Zukunftsideen mit positiver Utopie: „Wenn wir in dem Modus des Warnens verbleiben, muss man damit rechnen, dass Menschen noch stärker in ihren alten Strategien verharren. Wir müssen das kulturelle Paradigma verändern. Da kommen wir nur hin, wenn wir andere positive Rollenmodelle zeigen. Wir müssen wieder lernen, utopisch zu denken.“
Eine besondere Rolle bei der Gestaltung fällt dabei der Wirtschaft zu. Marcel Engel, Leiter des deutschen Netzwerkes der UN-Wirtschaftsinitiative Global Compact, betonte die Chancen, die sich für Unternehmen durch mehr Nachhaltigkeit ergeben: „Sie können dadurch Risiken minimieren, ihre Resilienz steigern, Vertrauen bewahren, talentierte Arbeitskräfte gewinnen, neue Geschäftsmodelle und Produkte entwickeln sowie neue Märkte erschließen.“
Doch die politische und ökonomische Weltsituation erschwert nachhaltiges Handeln. Unter dem Titel „Multilateralismus in der Krise: Auswirkungen auf die Umsetzung der Agenda 2030“ diskutierte ein hochkarätiges Panel die Optionen.
„Wir wissen deutlich: Ein ständiges Wirtschaftswachstum ist nicht fortsetzbar“, findet Welzer: „Wir müssen uns dringend Gedanken machen, wie wir aus dem Erfolgsmodell rauskommen.“ Thomas Wessel, Personalvorstand bei Evonik Industries AG, widerspricht: „Solange wir noch Armut und Hunger in der Welt haben, werden wir das Wirtschaftswachstum brauchen. Es muss intakt sein, um die grundlegenden Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Wir müssen es aber intelligenter machen.“ Mark Griffiths, Global Leader Climate Business Hub beim WWF, setzt auf Partnerschaften zwischen NGOs und Wirtschaft: „Wir müssen unser Geschäft auf eine andere Art und Weise betreiben. Ein Teil der Lösung besteht darin, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, weil sie sich schneller entwickeln werden als die Politik.” Alexa Hergenröther, Geschäftsführerin K+S Kali GmbH, sieht das ähnlich: „Politik diskutiert stark rückwärtsgewandt. Unternehmen denken zukunftsorientiert. Wir brauchen sehr viel stärker eine einheitliche Diskussion und müssen mit den Stakeholdern noch mehr in einen Dialog eintreten.“
Wie gestalten wir Zukunft nachhaltig?
Unter dem Titel „Quo Vadis Global Goals? Aligning Profit with Purpose“ diskutierten abschließend Gäste aus der Zivilgesellschaft mit Unternehmensvertretern Wege für eine gemeinsame Zukunft. Kontrovers geführt wurde dabei die Diskussion zum Klimaschutz und die Frage, ob Dekarbonisierung den Industriestandort Deutschland gefährdet.
Melanie Kubin-Hardewig von der Deutschen Telekom wiederum hob die Chancen der Digitalisierung hervor. Zugleich verschwieg sie nicht die große Rolle des Internets beim CO2-Ausstoß und plädierte für eine stärkere Internalisierung externer Kosten.
Cléo Mieulet von Extinction Rebellion forderte eine massive Transformation unserer Gesellschaft: Wahrheit sagen, sofort handeln, Politik neu leben. Dazu zählen nach Ansicht der NGO ein staatsweiter Klimanotstand, gesetzliche Vorgaben zur Klimaneutralität bis 2025 sowie ein Ende des Artensterbens.
Doch gesetzliche Regelungen alleine werden die Agenda 2030 nicht umsetzen. Vor allem braucht es ein Umdenken in den Chefetagen der Unternehmen. Neben Profit muss auch Sinn den Erfolg eines Unternehmens ausmachen.
Richard Roberts vom britischen Thinktank Volans beobachtet hier einen Paradigmenwechsel in vielen Unternehmen: „Um rechtzeitig dorthin zu gelangen, wo wir hin müssen, bedarf es eines enormen Mutes von Führungskräften aus der Wirtschaft. Mut, sich auch lächerlich zu machen und eine Kultur, die auch Fehler und Versagen toleriert“, so Richard Roberts.
Julia Jürgens von der METRO AG ging ihrerseits auf die Rolle von nachhaltiger Führung ein: „Es beginnt alles mit dem einzelnen Leiter. Ältere Führungskräfte sind im Autopilotenmodus. Es fehlt ihnen das Bewusstsein, das die Grundlage der SDGs ist.“
In Workshops diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Schlüsselthemen wie Entwicklungspartnerschaften, Fragen zum „Smart Mix“ von Pflicht und Freiwilligkeit, Resilienz in den Lieferketten, Wassermanagement, Korruptionsprävention sowie die Rolle der Wissenschaft zur Erreichung der globalen Entwicklungsziele.
Das Global Goals Forum versteht sich als „Marktplatz der Ideen“: In einer Zeit, in der Unvorhersehbarkeit die Signatur unserer Welt zu sein scheint, gibt die Konferenz führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft ein Forum, um zentrale Fragen wie gerechte Globalisierung, Klimawandel und unternehmerische Verantwortung zu diskutieren.